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20. August 2013 2 20 /08 /August /2013 22:07

Paul hatte inzwischen das Lesen entdeckt. Perry Rhodan und andere SIFI Heftchen wurden sofort verschlungen. Schundromane, wurden sie genannt, aber dazu ein andermal. Ihm waren beim Durchblättern der diversen Werbeanzeigen, die sich dort befanden, viele interessante Dinge aufgefallen, die man sich bestellen konnte. Unter anderem bot jemand an dem Entrichter von 250 Schilling, das Pauls gesamtes monatliches Taschengeld darstellte, einen Reporterausweis zu zuschicken. Er war begeistert. Hieß es auch einen Monat darben, so klang es doch verlockend „Reporter“ so wie Tim von Tim und Struppi. Die Welt würde ihm zu Füßen liegen, insbesondere die Frauen. Er würde Abenteuer erleben, man würde Straßen nach ihm benennen.  Er benutzte den beigelegten Coupon zum Bestellen. Es dauerte die Unendlichkeit von zwei Wochen, bis die Post mit dem Paket kam. Um sein Taschengeld erleichtert, öffnete Paul den Umschlag und heraus fiel ein kleiner gelber in Folie eingeschweißter Ausweis, auf dem sein Name stand und dass er nun Reporter sei und dass man ihm überall hin Zutritt gewähren muss. Das stand in Latein auf der Rückseite. Negativ fiel ihm gleich auf, dass der Ausweis nach einem Jahr ablaufen würde.  Also musste er sich beeilen um die Zeit sinnvoll zu nutzen. Carpe Diem, so hatte man es versucht ihm in der Schule beizubringen. Er war jetzt dran, er musste nun aktiv werden und reportieren oder wie auch immer das hieß. Am Freitagabend war ein Konzert in der örtlichen Gemeindehalle. Er und sein Ausweis hatten sich auf den Weg gemacht um in den Backstage Bereich vorzudringen und um dort so Sachen zu machen. Welche Sachen genau wusste er noch nicht, aber er war guter Hoffnung, dass sich das wohl schon noch ergeben würde. Dort angekommen versperrte ihm auch schon ein Hirni von Türsteher den Weg. Auch nachdem er aufs Heftigste mit dem Ausweis rumgewedelt und den Knilch auf den lateinischen Appendix hingewiesen hatte, wurde er nicht eingelassen. Paul schäumte vor Wut. Wieso konnte der Idiot eigentlich nicht verstehen, dass er ihn eizulassen hatte. Er war doch nun ein Reporter oder so. Nachdem sich der Türsteher von seinem Lachanfall erholt hatte, schickte er Paul zum Teufel, respektive er verwies ihn des Platzes, indem er ihn am Kragen packte und rausbeförderte. Es muss nicht extra erwähnt werden, dass es sich bei den nächsten zehn Konzerten, gleich verhielt.

Paul war außer sich. Dieser Ausweis war nicht das Papier wert, auf den er  gedruckt worden war. Dieses Reporterdingsi konnte er abhaken. Also keine Ruhmeshallen. Blieb noch die Sache mit den Frauen und dem Abenteuer.

Er hatte sich mit Lisi zum Kaffee verabredet. Im Café fiel ihm dann als er zahlen wollte, zufällig der Ausweis auf den Tisch. Er hatte gehofft, Lisi würde ihn danach fragen. Nichts. Sie hatte nicht mal hingeschaut. Ebenso verhielt es sich mit Sabine, Inge, Edith, Doris, Claudia, Michi, Barbara, die er liebevoll Rhabarba nannte und vielen mehr. Auch erfundene Berichte, die er zuvor der Bravo entnommen hatte, interessierten keinen. Also, stellte Paul fest, das mit den ihm zu Füßen liegenden Frauen, war auch nur wieder ein Griff ins Klo.

Er stellte sich nun einfach nur hin und wartete auf Abenteuer, nichtsahnend, dass an diesem Abend das einzig Teure nur sein Ausweis gewesen war. Hätte er sich lieber die in der Nebenanzeige angebotene Muskelcreme gekauft, dann wäre wenigstens das mit den Frauen etwas geworden.

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20. August 2013 2 20 /08 /August /2013 22:06

Littleman hatte tief im Inneren den Wunsch endlich erwachsen zu sein. Der erste Schritt dazu war, dass seine Geschwister und er wegen Platzmangels eine eigene Unterkunft zur Verfügung gestellt bekamen. Sie lag im Nebenhaus und war mit einem Gang, einer Art Nabeschnur, mit der elterlichen Wohnung verbunden. Diese Form der Selbständigkeit war herrlich. Die Mutter sorgte für Essen und frische Wäsche, der Vater für den finanziellen Hintergrund.

Das erste Frühjahr in den neuen Räumlichkeiten neigte sich dem Ende zu und Littleman träumte auf dem Balkon von den kommenden Sommerferien. Nicht ohne Grund. Ihm war bewusst, dass etwa 270 km südlich eine italienische Familie mit ihren drei Töchtern ebenfalls den Urlaub verbringen würde. Sie hatten sich im Vorjahr kennengelernt und Littleman fand Gefallen an einer von ihnen.

Die Pubertät zeigte erstmals ihre Zähne, und wird landläufig als jene Phase beschrieben, in der Buben nicht genau wissen, ob sie Mädchen küssen oder schlagen sollten.

Littleman war von schmächtiger Gestalt und, seine Hormone rieten ihm etwas dagegen zu unternehmen. Er wollte doch im Urlaub mit einem gestählten Körper beeindrucken. Ein kurzes Liegestütztraining führte nicht zum erwünschten Ergebnis, darüber hinaus war es auch anstrengend. Diesmal war ihm das Glück hold. Bei einem Besuch seiner Tante, die Zeitschriften mit Namen „Neue Post“ und „Das goldene Blatt“ bezog fand er die Lösung für sein Problem. Beim gelangweilten Durchblättern der Lektüre fielen ihm neben Lebensgeschichten Prominenter und royalem Tagesgeschehen sofort die dazwischen platzierten Werbeinschaltungen auf. Eine Folie, die Schwarzweiß- in Farbfernsehgeräte verwandeln sollte, oder eine Röntgenbrille, deren Verwendungszweck sich selbst erklärt und schließlich eine Muskelcreme, welche aus schmalbrüstigen Männern wahre Hünen machen würde. Littleman sog die Beschreibung, die wirksam mit einer schemenhaften Abbildung eines Bodybuilders geziert war, förmlich auf. Die Zeilen versprachen einen exorbitanten Muskelzuwachs innerhalb weniger Wochen. Das Produkt müsste nur abends auf den entsprechenden Körperpartien aufgetragen werden. Heimlich notierte Littelman die Anschrift des Versandhauses und bestellte tags darauf die verheißungsvolle Muskelcreme. Er war nun erwachsen und dank des monatlichen Taschengeldes finanziell unabhängig. Trotzdem musste er für die Kosten von 40 Schilling auf seine Reserve zurückgreifen. Die Wartezeit war unerträglich, jeden Tag erkundigte er sich, ob Post für ihn angekommen war. Endlich, nach etwa einer Woche hielt er ein kleines Paket in Händen und erklärte jedem der nach dem Inhalt fragte, es wäre nichts Besonderes. Eingeschlossen in seinem Zimmer riss er aufgeregt die Verpackung und fand darin eine unscheinbare, weiße Kunststoffdose mit Schraubverschluss. Nur das Etikett verriet den Inhalt – Muskelcreme. Littleman öffnete den Deckel und blickte auf eine zartgrüne, pastöse Masse, die frisch duftete. Am Abend rieb er seine Arme und den Oberkörper damit ein, nicht ohne vorher seine Körpermaße zu notieren. Er wollte schließlich nach Abschluss der Behandlung eine Vergleichsmessung durchführen.

In den kommenden Wochen verströmte er den Geruch eines WC-Lufterfrischers mit Tannenduft, dennoch zeigte sich tatsächlich eine Veränderung. Der Placeboeffekt hatte sich eingestellt, Littleman glaubte zu sehen, wie seine Muskelmasse langsam zunahm. Seine Körperhandlung ähnelte jenem der nächsten Verwandten aus dem Tierreich. Kurz vor der geplanten Fahrt in den Urlaub war die Creme aufgebraucht und er konnte es kaum erwarten das Ergebnis der Messung zu sehen. Er legte das Band um seinen Oberarm, spannte den Muskel an, las das Ergebnis und wurde bleich. Nichts, er sah auf die Zahl, blickte kurz auf den Zettel und musste feststellen, dass beide Ziffern identisch waren. Nervös fingerte er am Maßband herum, versuchte angestrengt ein wenig mehr an Umfang aus seinem Bizeps herauszuquetschen, vergeblich. Es gab nur eine Möglichkeit, er müsste den Urlaub alleine zuhause verbringen. Seine Eltern sahen die Sache natürlich etwas anders und so saß er eine Woche später auf der Rücksitzbank des Autos, das Richtung Süden unterwegs war.

Littleman musste an das hübsche, blonde Mädchen denken, dass er in einigen Stunden wieder sehen würde und überlegte, ob es nicht doch besser gewesen wäre, die Röntgenbrille zu bestellen.

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20. August 2013 2 20 /08 /August /2013 22:05

Auch Paul fieberte der schönsten Zeit des Jahres entgegen. Seit Monaten hatte er Kataloge gesammelt und die richtigen Weihnachtsgeschenke angekreuzt. Die Kataloge stapelten sich. Erst wurden natürlich immer Spielsachen ausgesucht. Ein Mikroskop oder einen Chemiebaukasten oder das unglaubliche Detektivset mit Spiegelbrillen und Handschellen oder ein Flugzeug mit Fernbedienung. Vielleicht von Graupner oder für die Geizigen, Robbe. Die Cessna wäre schön, oder die Piper oder vielleicht doch nur ein Segelflugzeug. Paul zeigte die Broschüre seinem Onkel, der täglich mittags zum Essen  vorbeikam. Er war ein großartiger Bastler. Paul war eher unterdurchschnittlich schlecht in solchen Dingen. Der Klebstoff war sein Feind. Ebenso wie die Laubsäge und der Spannlack. Von Genauigkeit im Umgang mit Holz wollen wir gar nicht erst nicht sprechen. Der Onkel verneinte, da schon alleine die Fernsteuerung unerschwinglich schien. Er zog an seiner Zigarette und schüttelte den Kopf. Paul konnte den Geruch nicht ausstehen. Billig Mist. Würde er wenigstens eine Marlboro rauchen oder ähnlich dekadentes Kraut. Aber auch hier wurde gespart. Die Frau des Paschas rauchte Winston oder Kent. Das roch angenehmer.   Paul überlegte.  Was konnte er tun um ihn zu überzeugen, dass ein Freiflug-Modell lebensnotwendig war.

Er legte den Gedanken vorerst auf Eis und begann ein Geschenk für seine Großmutter auszuwählen. In der engeren Liste standen ein praktischer Messerschleifer, eine geniale Zickzackschere und ein innovativer Hautpfleger. Dazu sei gesagt, dass der Hautpfleger am teuersten war. Etwa eineinhalb Monate Taschengeld. Paul hatte vergessen zu sparen, was auch gut so war, denn Paul ahnte damals noch nichts über die Verwendung des stabförmigen Produkts, dass sich einen schöne Frau gegen das Gesicht drückte. Er war nie der Hellste, schon gar nicht in erotischen Angelegenheiten. Das änderte sich auch später nie.  Nun, da Gott sei es gedankt, sein Taschengeld für das Hautpflegeprodukt nicht ausreichte, wurde eben das zweitteuerste Geschenk bestellt. Die Zickzackschere, mit der widerspenstige Stoffränder nie mehr ausfransen würden.

Zurück zu seinem Geschenk an sich. Es sollte ein Flugzeug werden, am besten ein sehr großes. Nun erzählte ihm der Oheim an einem der folgenden Tage, er würde ihn kurz vor Weihnachten mit nach Mittenwald nehmen, um dort das größte Spielzeugwarengeschäft zu besuchen. Paul war aufgeregt. Die Tage bis dorthin schienen endlos. Am späten Nachmittag des zweiundzwanzigsten Dezember ging es dann los. Der Abend wurde deswegen gewählt, weil der Onkel hoffte, so den damaligen Zollkontrollen zu entkommen. Sie fuhren in die Nacht hinein. Es war kalt, dunkel und langweilig. Nach einer geglaubten Unendlichkeit waren sie dann dort angekommen. Spielsachen soweit das Auge blicken konnte. Von Modellbau bis zu Puppen, ob nun Spiele oder Puzzle, es war für jeden etwas dabei. Paul rannte durch alle Reihen um alles sehen zu können, um dann besser beurteilen zu können, welche Wichtigkeit einer Sache zugeordnet werden müsste. Treppauf, treppab. Es fielen ihm immer mehr Sachen auf, die er unbedingt sein Eigen nennen musste. Der Tag schien zu kurz, um all diese Eindrücke erfassen zu können. Und plötzlich sah er sie. Action Man. Die neue Sensation, die jeder dieses Jahr bekommen würde. Er hatte im Fernsehen schon die Werbung gesehen, aber niemals gedacht, er würde eine in Natura sehen. Der kühne Abenteurer, der Geschichten erleben konnte, ausgeliefert mit orangem Fallschirmspringeroverall und Fallschirm . In ganz geheimer Mission unterwegs. Noch viel cooler als James Bond. Den, den musste er haben. Der Onkel wurde gesucht und ihm wurde das Nonplusultra gezeigt. Sofortige Verneinung er die Rektion. Als Paul dann schon mit Tränen in den Augen dastand und  fast mit dem Fuß aufgestampft hätte, riss dem Oheim der Geduldsfaden und er erklärte ihm abermals, dass Puppen nur für Weiber wären und  er das nicht erlauben würde. Paul drängte dann in einem Anflug von Bitterkeit auf ein Modellflugzeug mit Fernbedienung. Der Onkel dampfte schon aus allen Körperöffnungen. Kurz ging er mit Paul zu den Modellen und nahm eine Verpackung mit einem Kabelrennauto aus dem Regal und drückte es Paul in die Hand. Ausgeredet. Es wurde bezahlt, Paul war nun Mittellos und es ging ab nach Hause. Die Fahrt verlief wortkarg. Enttäuschung hatte sich breit gemacht. Da es ja ein Weihnachtsgeschenk sein sollte, wurde es so eingepackt und erst am Heiligen Abend geöffnet. Heilig Abend. Paul hatte das Auto ausgepackt, oder sagen wir eher Autoteile. Es war ein Bausatz. Tausende von irgendwelchen Teilen Motoren und anderer Ramsch. Der Onkel baute es schließlich zusammen, Paul war zu dumm dazu, wobei er aber nicht zu dumm war zu bemerken, dass es nur eine Kabelfernbedienung war und das ein Reifen fehlte. So konnte er nie rausfinden, wie schnell der Schrott fahren konnte. Oh du Fröhliche.

Ein Monat später stand Paul in einem Spielzeugladen und kaufte sich ohne Oheim Action Man. In der Grundausstattung, mit Fallschirm, den nur wenige Jahre später der Pascha, ohne Pauls Wissen, herschenken sollte.

 

Seine Großmutter hatte sich riesig über die Zickzackschere gefreut und das freute Paul
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20. August 2013 2 20 /08 /August /2013 22:05

Die schönste Zeit des Jahres stand unmittelbar bevor. Jedenfalls empfanden die Kinder das so. Für deren Eltern hieß es sich in das Christkind zu verwandeln und die unverschämten Wunschlisten der Einkommenshöhe anzupassen. Alljährlich wuchsen geschmückte Christbäume wie von Geisterhand aus unzähligen Wohnzimmerböden, die bereits von zahlreichen liebevoll eingepackten Geschenken überschwemmt waren.

Zum Dank für diesen weihnachtlichen Marathon warteten auf die Eltern Präsente ihrer Sprösslinge, die entweder hässlich oder nutzlos, meist aber eine Kombination aus beidem waren. Diese Tradition sollte Littleman weiterführen, dafür musste in diesem Jahr seine Mutter daran glauben. Er fand einen Stapel Zeitschriften mit dem Titel „Selbst ist der Mann“, sozusagen die Bibel für die damals aufkommende Heimwerkerbewegung. Nach umfangreichem Studium der Literatur entschied er sich für etwas Praktisches, ein Tablett. Als Material benötigte er eine quadratische Spanplatte, 4 Holzleisten und ein Stück PVC-Belag. Die Leisten sollten auf die Platte geleimt werden und bildeten so die Umrandung. Die müssten anschließend an der Oberseite und den Ecken stark abgerundet werden. Zum Schluss stand in der Anleitung, den Kunststoffbelag auf die Größe der Tablettstellfläche zuschneiden und mittels Kontaktkleber darauf befestigen.

Das klang einfach und war schnell zu bewerkstelligen, fand Littleman. Außerdem hatte er noch 14 Tage bis zum Hl. Abend Zeit, Eile war daher nicht geboten. Schließlich zwei Tage vor Weihnachten nahm er die Bastelzeitschrift zur Hand und notierte die angegeben Materialien, sowie deren Maße. Als er beim Posten PVC-Belag angekommen war überlegte er kurz und fand, so etwas Billiges würde er sicher nicht verwenden, schließlich sollte es ein besonderes Geschenk sein. Also beschloss Littleman stattdessen ein gediegeneres Material einzusetzen und kaufte bei einem Fliesenhändler vier je 25x25 cm große Steinzeugplatten. Sie waren in Brauntönen gesprenkelt und glichen genau dem Kunststoffbelag aus der Vorlage. Er war glücklich, zwar hatte er den halben Tag damit verbracht sämtliche Utensilien zu besorgen, nun aber sollte nichts seinen Tatendrang mehr bremsen. Er sollte zuerst die 4 Leisten der Reihe nach an den angezeichneten Linien auf das Brett kleben und mittels Schraubzwingen fixieren. War es Übermüdung oder einfach nur seine Unfähigkeit, Littleman strich alle Teile mit dem Leim ein und platzierte sie auf der Platte. Beim Versuch die erste Leiste mit den Zwingen niederzudrücken, rutschten die restlichen drei vom Brett herunten und verteilten sich auf den Fingern, der Hose und zu guter Letzt auf dem Teppich, wo sie Dank des Leimes kleben blieben. Es dauerte bis 2:00 Uhr morgens bis er das Problem gelöst hatte. Noch 1 Tag bis Weihnachten.

Die Nacht war kurz er war aber fest entschlossen, sich gleich nach der Schule dem Tablett zu widmen. Er hatte die Rechnung ohne dem Österreichischen Rundfunk gemacht, der in dieser besinnlichen Zeit sämtliche Kinder mit einer schier überwältigenden Vielzahl an Filmen betäubte. Erst am Abend schaffte Littleman den Weg in sein Zimmer um mit einer Rolle Schmirgelpapier bewaffnet endlich mit dem Abrunden der Leiste zu beginnen. Gegen Mitternacht stellte er entsetzt fest, dass er mit der Arbeit kaum vorangekommen war. Dafür erlahmten seine Arme derart, dass es ihm weder gelang das Licht auszuschalten, noch seine Hose auszuziehen. Noch 0 Tage bis Weihnachten.

Sein Optimismus schien in der kalten Winterluft den Kältetod erlegen zu sein. Jetzt würde nur mehr rohe Gewalt helfen, im Werkzeugschrank fand er eine Raspel deren riesige Zähne gierig nach einem Stück Holz lechzten. Sofort begann er mit der Arbeit, Holzteile spritzten in den hintersten Winkel seines Zimmers, aber langsam nahm das Ganze Form an. Die Schleifarbeiten waren beendet, so dachte Littleman zumindest. Bei näherer Betrachtung sah die Tablettumrandung aus, als hätte sich ein psychopathischer Biber darüber hergemacht. Das Holz war von tiefen Furchen übersäht und langsam machte sich Panik breit. Hektisch versuchte er zu retten was zu retten war und schmirgelte um sein junges Leben, vergebens. Der Heilige Abend näherte sich mit Riesenschritten, Littleman griff nach den Fliesen und klebte sie eilig auf die Spanplatte.

Erst beim Verpacken fiel ihm auf, dieses Tablett war schwer, sehr schwer. Er verstand auf einmal warum ein PVC-Belag statt der Fliesen die bessere Lösung gewesen wäre. So wurde diese „schöne Bescherung“ diesmal ihrem Namen gerecht

Schon am darauffolgenden Morgen servierte seine Mutter keuchend das Frühstück auf ihrem neuen Tablett und hatte dabei Tränen in den Augen. Sie musste sich sehr über das Geschenk gefreut haben.

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20. August 2013 2 20 /08 /August /2013 22:02

Auch Paul bekam Küchenverbot. Das hatte er sich aber selber zuzuschreiben, obwohl er es weder böse gemeint noch absichtlich verbockt hatte. Angefangen hatte die Misere als sie zu irgendeinem festlichen Anlass ins nahegelegene Dorfgasthaus zum Essen geladen waren. Dort gab es einen exzellenten Braten mit Sauce und  dazu Birnkartoffel. Paul war entzückt. Das Rezept musste er haben, also schlich er sich zum Koch und der erzählte ihm, dass man diese aus Kartoffelbrei und Schinkenstückchen gemacht werden. Zwei Eier dazu und die Dinger werden wie Birnen geformt und dann mit einem Stielchen geschmückt. Wie bereits erwähnt war Paul begeistert.

Zum nächsten Familienfest, war klar, er musste diese selbst zubereiten. Als es nun soweit war, hatte Pauls Großmutter den perfekten Braten zubereitet und nun war Paul an der Reihe. Er hatte geschält, gekocht, gehackt, püriert, Eier daruntergemischt und Birnen geformt und diese in Paniermehl gewälzt.  Eine wahre Augenfreude. Zu dumm dass Paul vergessen hatte den Koch zu fragen, wie die Dinger nun fertiggestellt werden.  Aber er hatte im Fernsehen diese Werbung gesehen. Kartoffelkroketten, die man im heißen Fett schwimmend herausbacken konnte. Das musste es sein. Also nahm er den Frittier Topf zur Hand, setzte ihn auf den Herd. Die Flamme war schnell entzündet und das Frittierfett in dem Topf platziert. Es hieß, es müsste das Fett sehr heiß sein, also wartete er so lange bis etwas weißer Rauch aus dem Topf stieg. Als perfekte Temperatur empfunden, wollte Paul nun die Birnen schwimmen lassen.  Da er aber aus früheren Aktionen mit dem Fritter Topf wusste, dass Ölspritzer, die beim Reinwerfen von Gefrorenem ins heiße Fett entstehenden, schon einiger Maßen schmerzen, versuchte er nun sieben Birnen  gleichzeitig von seinem Teller ins Fett zu stoßen. Jetzt passierten zwei Dinge. Zum Ersten schwappte das Fett heraus und endete in einer mittelmäßigen Stichflamme, die die Hängekästen der Küche küsste. Zum Zweiten gab es eine Abfolge von mittleren Explosionen. Die Birnen waren terroristischer Natur. Sie waren allesamt explodiert, natürlich nicht ohne weiteres Öl in den Umlauf zu bringen. Von der Explosion aufgerüttelt betraten einige der Gäste die Küche und fanden einen lauthals lachenden Paul vor. Den hatte die Tatsache, dass die Birnkartoffel in die Luft geflogen waren immer noch belustigend im Griff. Mit ein wenig Glück würde man auch die angekokelten Türchen nicht sofort als Brandopfer sehen, da das in deren brauner Farbe unterzugehen schien. Die Frage ob jemand Brandkartoffel haben möchte, hätte er sich sparen können. Wie ein Lauffeuer hatte sich diese Nachricht verbreitet. Man wusste nicht ob man weinen oder lachen sollte. Paul konnte das nachvollziehen. Ihm fiel nur Alexis Sorbas ein, mit seinem laut lachenden Ausspruch: “Das hättest du sehen müssen Boss, noch nie ist….. eine Birnkartoffel so herrlich explodiert.“ Das daraufhin folgende Küchenverbot wäre somit erklärt.      

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6. August 2013 2 06 /08 /August /2013 20:35

Während Paul sich mit der ersten Finanzkrise in seinem noch jungen Leben herum-schlagen musste, plagten Littleman ebenfalls Existenzängste. Wie bereits im Abschnitt „Kartoffel-Everest“ erwähnt, glaubte er ständig als jüngstes von vier Kindern verhungern zu müssen. Obwohl sein erster Versuch zur Selbstversorgung unter einer Lawine von Gnocchi endete, war der Urtrieb einfach stärker. Zum Glück begann die Lebensmittelindustrie langsam die Gesellschaft mit Fertiggerichten und Tiefkühlprodukten zu überschwemmen. Seine Wahl viel auf eine Packung Kroketten, deren Abbildung eine wahre Gaumenfreude zu bieten schien. Es dauerte zum Glück nicht sehr lange bis seine „Fressfeinde“ alle außer Haus waren. Sogleich holte er die gut im Kühlfach versteckte Packung mit zittrigen Händen heraus und begann die Anwei-sung für die Zubereitung zu studieren. Aufgrund der enormen Vorfreude war seine Aufnahmefähigkeit stark vermindert und so las er nur Pfanne, Öl, 10 min. schwimmend herausbacken. Sogleich füllte er einen Liter feinstes Pflanzenöl in einen Topf, den er auf die Herdplatte stellte. Littleman riss nun ungeduldig die Verpackung auf und gab die von einer Panade überzogenen Kroketten in das Öl. Zu guter Letzt schaltete er den Herd ein, um mit großen Augen auf die Verwandlung in einen goldbraun gebackenen Leckerbissen zu warten. Nach 5 Minuten begann der Ölstand der Pfanne augenscheinlich zu sinken, während die Semmelbrösel dramatisch aufquollen. Zuerst dachte er an ein Loch in dem Kochgeschirr, doch plötzlich, das Öl wurde nun endlich heiß bemerkte er eine Metamorphose seiner Kroketten. Sie schienen sich ihrer schmackhaften Kleidung entledigen zu wollen, bis kurz vor Ablauf der an-gegeben 10 Minuten schließlich nur mehr die leeren Hüllen obenauf schwammen. Nach der ersten Enttäuschung fing er das Kartoffel-/ Panadegemisch heraus. Das Gericht hatte mit dem auf der Packung abgebildeten keinerlei Ähnlichkeit. Littleman blieb nur noch die Hoffnung, dass wenigstens der Geschmack seinen Vorstellung entsprechen würde. Doch schon nach dem ersten Bissen musste er feststellen, dass er in der kulinarische Hölle gelandet war. Während das Innenleben der Kroketten von undefinierbarer Konsistenz gewesen war, befand sich in deren Ummantelung ein Ölvorkommen, welches ergiebiger schien, als das eines saudiarabisches Bohrfeldes. Nach etwa einem Drittel der Portion war Littlemans Leidensfähigkeit und die seiner Galle überschritten. Während er noch damit rang den Mageninhalt bei sich zu behal-ten nahm er die Packung und las „die Kroketten in das erhitzte Öl geben…“. So erlebte in diesem Jahr nicht nur die Welt sondern auch er selber die erste große Ölkrise.

Doch so leicht wollte er sich nicht geschlagen geben. Rettung nahte in Gestalt seiner Tante, die ihm vorschlug, gemeinsam einen simplen Kuchen zu backen. Als Zutaten wurden nur Mehl, Zucker, Eier, Margarine und etwas Backpulver benötigt, die einfach alle einfach zusammengerührt werden mussten. Den Teig leerten sie in ein kleine Kastenform und schoben ihn ins Backrohr. Später wurde der fertige Kuchen in der Länge durchgeschnitten und mit etwas Marillenmarmelade bestrichen. Das Ergebnis war eine wohlschmeckende, nahrhafte Mehlspeise.

Einige Tage später – die Familie war nicht zuhause – da sollte das Unternehmen Sandkuchen starten. Er nahm die Notiz mit den Zutaten zu Hand und begann diese im Vorratsraum zu suchen. Als er bei dem Posten „Mehl“ angelangt war, musste er feststellen, dass es sich hierbei nur um eine Art Überbegriff handeln konnte. Die unzähligen Behältnisse waren mit Etiketten versehen auf denen zu lesen stand: Weizenmehl glatt, griffig doppelgriffig, Roggenmehl und zum Schluss stand noch eine Dose mit der Aufschrift Stärkemehl im Regal. Im ersten Moment war Littleman einfach ratlos, doch nach kurzer Überlegung siegte der menschliche Geist über die Materie. Stärke, so fand er, wurde immer mit etwas Positivem assoziiert. Schließlich lautete damals ein Werbeslogan auch „pack den Tiger in den Tank“.

Also griff er zielsicher nach dem Stärkemehl in der Hoffnung, dass dies zum ultimativen Geschmackserlebnis führen würde. Anschließend vermischte er alle Zutaten wie auf dem Rezept angegeben. Nachdem er die Kastenform mit dem Teig gefüllt hatte, schob er sie in das vorgeheizte Backrohr. Die Spannung war unerträglich und als endlich nach der vorgegebenen Backzeit die Küchenuhr läutete blickte Littleman erwartungsvoll durch das Glas der Backofentüre. Irgendetwas war anders. Er nahm die Backform heraus und erkannte auf einmal, dass zwar die Farbe des Kuchens der des Originals entsprach, nicht jedoch dessen Höhe. Das Backwerk war keinen Millimeter aufgegangen, wog dafür aber so viel wie ein Kleinwagen. Wiederum blieb im nichts wie die Hoffnung, dass wenigstens der Geschmack nicht darunter gelitten hatte. Nun wollte er den Kuchen durchschneiden, um die Marillenmarmelade auftragen zu können. Bei diesem vergeblichen Versuch brachen drei Zacken des Wellenschliffmessers aus, das Gebäck jedoch blieb unbeschadet. Es schien als ob ihm gelungen wäre ein massereiches Gebilde zu erschaffen, das kurz davor war unter der eigenen Schwerkraft zusammenzustürzen, um anschließend als Supernova zu explodieren.

Nachdem 2 Möbelträger nötig waren um den Kuchen aus der Wohnung zu schaffen, wurde Littleman der Zutritt zur Küche auf unbestimmte Zeit verwährt

 

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15. Februar 2011 2 15 /02 /Februar /2011 10:56

Paul stand vor einem neuen Ereignis in seinem Leben. Weltspartag. So hatte es geheißen. Zumindest hatte es der Klassenvorstand so bezeichnet. Er kannte das nicht. Sparen an sich war Paul schon ein Gräuel. Wer sparte war doch nur zu unentschieden sich von den schönen Dingen im Leben verwöhnen zu lassen. Also Weltspartag. Ob wohl wirklich jeder an diesem Tag weltweit seine Kröten auf die Bank brachte? Konnte gar nicht sein, denn er Paul, ehemals Faul, hätte davon sicher schon gehört, unabhängig davon, dass ihn vermutlich der Pascha gezwungen hätte seine spärlichen Mäuse auf ein Konto zu legen, wo sie sich, so hieß es, vermehren sollten. Mäuse-Kamasutra? Nein, daran glaubte er nicht. Was für ein Quatsch. Na, wie dem auch sei, es musste jeder am nächsten Tag Geld mitbringen und dann per Bus mit der gesamten Schule in die Landeshauptstadt pilgern um der Bank das Geld in den Rachen zu werfen. Irgendwie erinnerte ihn die Bank an eine Spinne die in ihrem Netz saß und auf die Beute wartete. Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch gar nicht wie nahe er der Wirklichkeit war.

Abends bearbeitete er seine Großmutter wegen des Geldes. Sein Taschengeld hatte sich schon längst in Luft aufgelöst. Also quengelte er so lange herum, bis ihm die Großmutter einen Fünfziger  gab und  ein paar kleinere Münzen. Paul steckte alles in seine Klappgeldbörse. Als er in der Schule ankam, standen da schon Alle mit ihren Sparbüchsen in der Gegend herum. Der Einzige der keine Sparbüchse zu haben schien war er. Das war ihm ein Dorn im Auge, erinnerte er sich doch noch recht klar an das Fiasko mit den Schultüten. Da er den Pascha weit weg wähnte, entschloss er sich kurzum ein solches Sparutensil zu erwerben. Also ging er zu dem Spielwarenladen gegenüber der Schule. Die hatten aber Keines. Bedrückt trotte er zurück und Alle mussten den Bus besteigen. Auf der Fahrt nach Innsbruck kam ihm dann ein genialer Einfall. Er beschloss einfach jemand Anderem die Büchse abzukaufen. Nach kurzer Zeit fand er auch ein Schlitzohr, der ihm seine Spardose samt Inhalt um Fünfzig Schillinge anbot. Fünfzig Schillinge waren viel Geld. Das entsprach zu der Zeit etwa einem gesamten Monatslohn an Taschengeld. Paul wollte nicht wieder der Außenseiter sein, also besiegelte er den Packt indem er dem Gegenüber seinen Fünfziger aushändigte.

In der Bank angelangt dauerte es eine Ewigkeit bis er endlich an die Reihe kam. Der Bankangestellte versuchte das Schwein zu öffnen, doch es wollte nicht gelingen. Kurzum zerdepperte es. Zum Vorschein kamen ein paar Groschen und Hosenknöpfe, die nicht der Rede Wert waren. Paul saß mit offenem Mund da und betrachtete entsetzt, wie dieser Clown mit seinem Eigentum umging. Das musste auch dem Pausenaugust nicht entgangen sein, denn der beugte sich seitwärts und stellte Paul ein nigelnagel neues Schwein auf den Tisch begleitet von den Worten: “Ach keine Angst, das kann vorkommen, da hast du ein Neues, kosten doch nichts.“

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15. Februar 2011 2 15 /02 /Februar /2011 10:55

Littleman war ebenfalls in einer Hauptschule untergebracht worden. Aber es war nicht irgendeine, sondern die damals modernste Schule im ganzen Land. Overheadprojektoren in jeder Klasse, Teppichböden, Sportanlage mit Fußballplatz und Tartanlaufbahn. Sogar Lautsprecher in den Räumen für wichtige Durchsagen der Direktion. Früher wurden Mitteilungen in ein Buch eingetragen welches von Schülern von einer Klasse in die nächste getragen wurde. Der jeweilige Lehrer trug dort die Nachrichten vor. Dieses Buch nannte man „Läufer“. Dies war nun nicht mehr nötig, ein Knopfdruck genügte, um unfolgsame Schüler in die Direktion zu zitieren. Soweit war alles bestens, das Schulgebäude befand sich allerdings in einer rauen Gegend. Um dorthin zu gelangen musste das berüchtigte Stadtviertel durchquert werden. Die erste Zeit war Littleman noch zu Fuß unterwegs, dadurch langsam in der Fortbewegung und somit Freiwild für im Konvolut auftretende boshafte Kinder. So war es eine Kunst den Hin- und Rückweg in einem Stück zu schaffen. Wie bereits in der Geschichte „Ohrschluch und Zwetschkenkrampus“ erwähnt, war sein Fundus an Schimpfwörtern sehr bescheiden. Es waren kaum zwei Wochen vergangen, als es auf dem Schulgelände zu einer Konfrontation mit einem anderen Schüler kam. In dem Alter ist die Grenze zwischen Kindsein und Jugendlichem noch sehr diffus, also beschloss man die Meinungsverschiedenheit mit den Fäusten auszutragen und zwar auf einem Kinderspielplatz. Nach dem Unterricht machte er sich zusammen mit seinem Bruder und dessen Mitschüler auf den Weg zum Ort der Kampfhandlung, wo sein Kontrahent schon auf ihn wartete. Dieser versuchte sich in psychologischer Kriegsführung und drohte ihm sämtliche Körperteile auszureißen. Auf ein Kommando hin begann die Schlacht, welche sich zu Beginn eher mit dem Erkunden der gegnerischen Stärke begnügte. Littleman war leidenschaftlich an Boxkämpfen interessiert, es war die Zeit der Kämpfe von Cassius Clay alias Muhammad Ali, Joe Frazier und George Forman. Er war bereit in deren Fußstapfen zu treten, hatte allerdings eine eigenartige Angewohnheit. Das Warten auf den ersten Treffer, welchen er erhalten würde. Diese extreme Spannung lähmte ihn nahezu. Doch diesmal war alles anders. Der Mitschüler seines Bruders rief im plötzlich zu „hau ihm eins in die Eier“. Ab diesem Zeitpunkt begann er in seinem Kopf intensiv  über das Thema Ei nachzudenken und was mit dieser Aufforderung gemeint wäre. Spontan fielen im Spiegelei, Eierspeise, Ostern, Eierkopf, etc. ein. Vielleicht handelte es sich ja um die Jause seines Gegners, hartgekochte Eier. Nie wäre er auf die Idee gekommen, es könnte sich um etwas Anatomisches handeln. Und während er noch tief mit dieser Sinnfrage beschäftigt war, wurde er jäh aus seinen Gedanken gerissen. Sein Gegenüber nutzte die künstlerische Pause und donnerte ihm die Faust auf seinen schon von Natur aus nicht zarten Riechkolben. Noch nie hatte Littleman diesen Moment bis zum „Einschlag“ in sein Gesicht so entspannt erlebt. Allerdings wäre es für den Rivalen besser gewesen nun das Weite zu suchen, denn durch diesen Schlag legte er unbeabsichtigt bei Littleman einen Schalter um. Die Verwandlung von Dr. Jekyll in Mr. Hide dauerte keine Sekunde. Er biss die Zähne fest zusammen, drängte den Gegner Richtung Kletterturm, wo es kein Entrinnen mehr gab. Der musste glauben einem Echo-Phänomen ausgesetzt zu sein. Für jeden Treffer den er Littleman verpasste, erhielt er mindestens drei zurück.Plötzlich schaffte der Widersacher es irgendwie seine Schultasche zu schnappen und das Weite zu suchen, nicht ohne Littleman von der Ferne mit ihm ebenfalls unbekannten Schimpfworten zu beglücken. Auf dem Nachhauseweg brachte er noch einmal die „Eiergeschichte“ auf’s Tapet, musste aber feststellen, dass sein Bruder genauso ahnungslos gewesen war wie er. Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, dass in den kommenden 4 Jahren über ihm das Füllhorn ausgeschüttet wurde, welches seinem Wortschatz in der Rubrik „Unflätige Ausdrucksweise“ zu einem Quantensprung verhalf. Nie mehr musste er danach seinen Bruder mangels geeigneter Ausdrücke im Zorn „Du Schwein, Du Schwein, Du doppeltes Schwein“ nennen. Und was es mit den Eiern auf sich hatte war ihm kurz darauf ebenso klar. 

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15. Februar 2011 2 15 /02 /Februar /2011 10:54

Paul musste integriert werden. Eine Schule musste her. Im örtlichen Gymnasium wurde er als persischer Bastard natürlich abgelehnt. Solche Leute mochte man dort nicht haben. Asiatische Ausländer waren definitiv zu blöd um altgriechisch oder Latein zu lernen, so meinte man allgemein. Paul indes war froh, da er aus eigener Erfahrung wusste, dass man in Gymnasien sehr viel lernen musste. Plus vieler Fremdsprachen. Vermutlich unterrichteten sie auch noch Evangelisch. Nein, nein. Einmal war bereits peinlich genug. Und auf das Lernen war er sowieso nicht mehr so scharf. Wähnte er doch den Pascha zu fern um tatsächlich maßgebend ins Geschehen eingreifen zu können. Er grinste breit übers Gesicht, als er die frohe Botschaft hörte. Hätte er sich besser bemüht da rein zu kommen. Vermutlich wäre sein Leben anders verlaufen. Oder sollte man sagen, sicher. Die Siebziger waren in vollem Gange. Freie Liebe und er, Paul, in einer neuen Schule. Hauptschule. Oha, was las er da, Knabenhauptschule. Was sollte das denn für ein schwuler Ausdruck sein? Knabenhauptschule Solbad Hall? Sollte das heißen, keine Weiber? Keine Tussen? Nichts zum anlehnen, drücken oder knutschen. Mit wem sollte er ab jetzt Händchen halten?  Oder war das vielleicht auch nur ein Überbleibsel aus vergangenen Tagen, wie eben „Solbad“. Gesolt wurde schon lange nicht mehr. Zu teuer hieß es. Na egal, vielleicht gab es ja doch die Eine oder Andere vom zarten Geschlecht. Essig. Die nächste Mädchenschule war gut anderthalb Kilometer entfernt.  Bei Nonnen. Bei Nonnen !!! Was war denn das? Sollten jetzt alle Mädchen zu Nonnen umerzogen zu werden. Nonnen kannte Paul nur aus dem Fernsehen. Die fliegende Nonne. Oder  die Trapp Familie. Solche  wollte er eigentlich keine. Ingrid ging dort zur Schule. Da musste er einmal nachhaken. Aber die war sowieso so ein Rührmichnichtan. Er betrat die ihm zugewiesene Klasse. Trotz seiner hervorragenden Zensuren  wurde ihm vom Direktor  der C-Zug zugewiesen. Die Klasse für Ausländer und Lernschwache. Er wurde vorgestellt und nahm Platz. Kurioser Weise konnte er keine Ausländer ausmachen. Während dieser Stunde brillierte er mit einem außergewöhnlichen Wissen. Als gegen Ende der erboste Rektor die Klasse betrat und den Lehrer vorwurfsvoll rügte, warum er den „Den“ in den A-Zug genommen hätte, wo er doch wissen müsse, dass „solch Einer“ nur in den C-Zug zu gehen habe, rechtfertigte der Lehrer, dass Pauls Wissen dem seiner Schüler um Hausecken, gar Wohnsiedlungen voraus wäre. Paul brauchte nicht sehr lange um die gern zitierte Latte, so tief zu legen, dass er seinen Level dem der übrigen Klasse angeglichen hatte. Er wollte nicht mehr auffallen. Er versuchte in der Masse unter zu gehen. Seine exzellente deutsche Aussprache ersetzte er dabei durch derben Dialekt. Sein Wissen durch bescheidene Unwissenheit. Obwohl Beides gar nicht so einfach war. Den Tölpel vom Land heraushängen zu lassen war schwieriger als er dachte. Aber mit viel Mühe schaffte er es dann doch. Wobei etwas ihn ganz melancholisch stimmte. Er wurde bereits am ersten Schultag nach dem Unterricht hinter der Schule verhauen. Gleich mehrmals hintereinander. Freunde die ihm hätten beistehen sollen hatte er keine. Und in den Sommerferien hatte er sicherlich zwanzig Kilos zugenommen, was sein Watschengesicht zweifelsohne noch hervorhob. Danach fühlte er sich zum ersten Mal richtig Zuhause.

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15. Februar 2011 2 15 /02 /Februar /2011 10:53

Indes begann zehn Kilometer entfernt der Werkunterricht mit dem Ziel, die motorischen Fähigkeiten der Zöglinge zu steigern. Dieser war bei den meisten Schülern äußerst beliebt, da einerseits keine besonders hohen geistigen Anforderungen gestellt wurden und andererseits der Unterricht von knapp vor der Pensionierung stehenden Lehrpersonen abgehalten wurde. Deren Ehrgeiz schien bereits verraucht und das einzige Interesse an dem zu unterrichtenden Gegenstand bestand darin für Beschäftigung zu sorgen, um in Ruhe eine Zeitung lesen zu können. Erst viel später war Littleman sicher, dass dieses Fach von verzweifelten Lehrern eingeführt worden war. Dies ermöglichte es ihnen nämlich sich an den Eltern zu rächen, deren unerzogene Kinder sie täglich ertragen mussten. Auf den ersten Blick vielleicht nicht erkennbar, sprechen die hergestellten Produkte mit denen Mütter und Väter im Laufe eines Schülerlebens überschwemmt werden eine andere Sprache.

Littleman freute sich auf die erste Unterrichtsstunde und erfuhr, dass zuerst mit dem allseits „beliebten“ Kartoffeldruck begonnen würde. Jeder Schüler erhielt dazu eine aus dem Budget des Unterrichtsministeriums finanzierte Kartoffel. Littleman wurde angewiesen daraus einen Stempel mit etwa 5x5 mm großer Druckfläche zu schneiden. Gleichzeitig wurde ihm ein Blatt in DIN A4-kariert überreicht. Der Lehrer erklärte ihm, er müsse nun Wasserfarben unterschiedlicher Tönung auf den vorbereiteten Stempel auftragen und diesen in je ein Feld des karierten Papiers drücken. Dadurch sollte ein buntes, geometrisches Muster geschaffen werden. Nach dem Ende der Stunde stellte er fest, dass gerade einmal ein 2 cm breiter Streifen den Bogen zierte. Der verstaubte Lehrer wies nun die Schüler an, den Rest zuhause fertigzustellen und zur Benotung kommende Woche wieder mitzubringen. Ab diesem Zeitpunkt war es den Eltern vorbehalten ihre Kinder mit einer ausreichenden Menge an Erdäpfeln zu versorgen. Die meisten Schüler arbeiteten so unökonomisch, dass von einer faustgroßen Kartoffel 97% Abfall und ein Stempel übriglieb, welcher womöglich gleich beim ersten Aufdrücken abbrach. Dies führte in der halben Stadt kurzfristig zu Engpässen bei diesem Nachtschattengewächs. Schlimmer war, dass nach Fertigstellung des Blattes alle Eltern genötigt wurden, diese aufzuhängen und es beim Betrachten immer wieder zu leichten Sehnervschädigungen und im schlimmsten Fall zum Auftreten epileptischer Anfälle kam.

Für das nächste Projekt war ein rustikaler Serviettenständer vorgesehen, der mit einer Laubsäge aus Sperrholz gefertigt werden sollte. Auch diesmal war der Arbeitsfortschritt in der einen Stunde Werken sehr gering, der Rest der Arbeit sollte wie üblich daheim erledigt werden. Für Kinderhände gestaltet sich schon alleine das Einspannen des hauchdünnen Sägeblattes als Hürde. Littleman fixierte es an der einen Seite der Laubsäge. Dann versuchte er den Bogen zusammenzudrücken, was sich als sehr kraftaufwändig erwies. Mit beiden Händen funktionierte es gerade noch, nun fehlte im eigentlich nur eine dritte, um die Schraube der anderen Klemmvorrichtung festzudrehen. Die Eltern mussten tief in die Tasche greifen, denn der Verschleiß an Sägeblättern war abnorm. Und das bevor überhaupt nur der erste Schnitt getan war. Endlich konnte er mit seiner Arbeit beginnen und nach fünf Auf- und Ab Bewegungen fielen ihm die mahnenden Worte des Lehrers ein, das Sägeblatt in regelmäßigen Abständen zu schmieren, am besten mit Seife. Binnen kürzester Zeit waren selbst die teuersten Toiletteseifen von tiefen Rillen übersäht. Schlimmer in Mitleidenschaft gezogen wurde jedoch das Mobiliar, genauer gesagt die Tische. Laubsägen ist eine Kombination aus ständig verrutschenden, widerspenstigen Holzplatten sowie dem trotzdem notwendigen, gefühlvollen Einsatz des Werkzeuges. Nach unzähligen Versuchen hatte Littleman diese zwei Parameter endlich in Einklang gebracht und das Sägeblatt fraß sich unaufhaltsam durch das Sperrholz. Krampfhaft presste er es auf den Tisch und merkte daher erst nach geraumer Zeit, dass an dessen Platte ein gebogener Schnitt zu erkennen war, der exakt die gleiche Krümmung wie das Seitenteil des Serviettenständers aufwies. Sein Adoptivvater war den Tränen nahe, doch da Littleman wenigstens einmal für die Schule solchen Eifer zeigte, beschloss er von handfesten Erziehungsmethoden abzusehen. Nachdem Littleman sich auch im letzten noch intakten Tisch verewigt hatte, war er fast am Ziel angelangt. Er musste sein Werk nur noch einfärben und verwendete dafür Beize nussbraun dunkel. Nach Beendigung der Arbeit zeigten neben dem Werkstück auch seine Hände, das Hemd und der Tisch, sowie ein Teil der Zimmerwand die Spuren seines ungebremsten Tatendranges. Schon tags darauf schmückte der hölzerne Ausbund an Hässlichkeit den ramponierten Esstisch. Sein Adoptivvater ein Liebhaber der Modernen und deren schlichten Formensprache erwiderte auf die Frage wie ihm der üppig verzierte Serviettenständer gefiele, „ich bin sprachlos.“ Am nächsten Tag wanderte das Stück übrigens zu den anderen Pretiosen kindlicher Handwerkskunst in einen eigens dafür angeschafften, inzwischen übervollen Schrank.

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